Mittwoch, 31. August 2022

Zum Tod von Michail Gorbatschow

Seine besondere Beziehung zu

Verlegerin Aenne Burda

„Frau Burda gehörte zu denjenigen, die uns als Erste bei den damals in der UdSSR entstandenen Schwierigkeiten zu Hilfe kamen. Mit aller ihrer Energie unterstützte sie die in unserem Land eingeleiteten Reformen." (Michail Gorbatschow)

„Gorbatschow hat Weltgeschichte geschrieben“, so die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Tod von Michail Gorbatschow auf ihrer Internetseite. Mit ihm, dem Ex-Präsidenten der Sowjetunion, hat auch eine Offenburgerin Weltgeschichte geschrieben: Aenne Burda. Bilder von ihrem Treffen mit First Lady Raissa Gorbatschowa am 4. März 1987 in einer Villa auf den Moskauer Leninhügeln, in der Gorbatschow normalerweise Staatsgäste empfing, gingen um die Welt. Raissa Gorbatschowa gestand der Offenburger Verlegerin und der Weltöffentlichkeit: „Alle Frauen in unserem Land sehnen sich nach Schönheit. Frau Burda, durch ihre praktischen Anleitungen können unsere Frauen sich ihre schönen Kleider selbst machen.“ Tags zuvor hatte eine „Burda Moden“-Schau im Gewerkschaftshaus unweit des Roten Platzes mit tausend geladenen Gästen stattgefunden.

Das Projekt „Burda Moden auf russisch“ war das erste Joint Venture eines westlichen Unternehmens mit einem sowjetischen Partner. Seit am 1. Januar 1987 die neuen UdSSR-Investitionsgesetze in Kraft getreten waren, stapelten sich in Moskau rund hundert Anträge ausländischer Investoren. Die Öffnung zum Westen hatte ihre Gründe: Versorgungslücken, mangelndes Know-how und eine quasi nicht existierende Exportkapazität zwangen die Sowjets zum Handeln. Michail Gorbatschow schrieb in seiner 2013 erschienen Biografie „Alles zu seiner Zeit“ (Hoffmann und Campe): "Von Anfang an war mir klar: Ohne eine Verbesserung unserer internationalen Beziehungen war an radikale Reformen in unserem Land nicht zu denken. Der Druck, der mit unserer Beteiligung am internationalen Wettrüsten und unserer Involvierung in Konflikte an verschiedenen Punkten des Erdballs zusammenhing, musste herabgesetzt werden. Wenn man eine neue Welt haben wollte, musste Schluss mit dem Kalten Krieg gemacht werden. Versuche, die internationalen Beziehungen zu verbessern, konnten nicht aufgeschoben werden, sondern mussten Bestandteil unseres politischen Kurses sein.“

Auftakt zu vielen Gesprächen, Telefonaten, Briefen und Telex-Schreiben war der Besuch einer russischen Delegation am 13. Mai 1986 in Offenburg. Abgeordnete des sowjetischen Staatskomitees für Wissenschaft und Technik sowie Druck und Verlag nutzten ihre Reise zur Düsseldorfer Druckerei-Fachmesse „Drupa“ für eine Besichtigung der Burda-Druckereien und des Modeverlags. Am 3. Juli kam Botschafter Julij Kwizinskij persönlich nach Offenburg, am 16. Juli schrieb Aenne Burda seiner Exzellenz einen Brief, in dem sie vorschlug, „Burda Moden in Lizenz zu vergeben, um sie in der Sowjetunion zu drucken, oder die Zeitschrift als fertig ausgedrucktes Produkt zu liefern“. Am 18. September erhielt sie Antwort: „Wir sind bereit, eine Möglichkeit der Veröffentlichung des Magazins 'Burda' zu gegenseitig vorteilhaften Bedingungen zu verhandeln.“ Im Oktober wurde eine Absichtserklärung zwischen dem Verlag Aenne Burda und „Vneschtorgistad“ unterzeichnet, „Burda Moden“ in der UdSSR einzuführen. Der „letter of intent“ besagte, dass die Sowjets mit 51 Prozent Mehrheitseigner des Joint-Venture-Projekts waren, das möglichst schnell gestartet werden sollte. In einer Auflage von 200.000 bis 2 Millionen Exemplaren sollte ein 40-seitiges Heft mit Schnittmusterbogen produziert werden. Es wurde vereinbart, für den 3. März 1987 eine Auflage von 100.000 Exemplaren zu Testzwecken ohne Berechnung zu liefern. Der Erlös aus dem Anzeigen- und Einzelverkauf sollte in „das künftige Projekt“ investiert werden.

Ein Heft, das fünf Rubel (15 DM) kosten sollte, hatte voraussichtlich 30 bis 50 Mitleserinnen. Bislang zahlten die Russinnen auf dem Schwarzmarkt bis zu 50 Rubel für das begehrte Schnittmusterblatt aus dem Westen.

Am 20. Februar 1987 starteten in Offenburg zwei schwere Sattelschlepper gen Osten. 3.200 Straßenkilometer. „Burda Moden nach Moskau“ prangte in großen Lettern auf den Lastzügen. Geladen hatten sie neben 150 Modellkleidern und technischem Equipment für die Modenschau in Moskau 100.000 Exemplare „Burda Moden“ auf russisch. Das Titel-Modell trug eine Kostümjacke in schwarz-weißem Hahnentritt mit Schulterpolstern.

Am 1. März flog Aenne Burda mit ihren Söhnen nach Moskau. Dort residierte die Verlegerin im vornehmen Hotel „Sowjetskaja“ und absolvierte ein Reiseprogramm, wie es nur Staatsgästen geboten wird. „Sie wurde wie die Abgesandte einer Großmacht empfangen“, schrieb die „Bild“-Zeitung in Deutschland. Essen mit sowjetischen Ministern und Direktoren, Empfänge in der Deutschen Botschaft und bei Oberbürgermeister Sajkin im Rathaus. Filmaufnahmen auf dem Roten Platz- In Pelzmantel und mit Nerzmütze lächelte die Verlegerin in die Kamera.

„Aenne Burda wäre in Russland eine Zarin gewesen“, sagte Hans-Dietrich Genscher, von 1974 bis 1992 deutscher Außenminister. „Sie haben mehr geleistet als drei Botschafter vor Ihnen“, lobte er die Pioniertat der Offenburger Unternehmerin. „Aenne Burda“, so Genscher, „zog auf ihre Weise und mit ihren Möglichkeiten den Eisernen Vorhang ein Stück zur Seite.

Die „Königin der Mode“ starb am 3. November 2005 in ihrem Haus in der Offenburger Schanzstraße. Zu ihrem 100. Geburtstag 2009 erschien meine Biografie „Aenne Burda. Wunder sind machbar“, und die Stadt Offenburg widmete ihr im Museum im Ritterhaus eine Ausstellung. Zu diesem Anlass schrieb Michail Gorbatschow an Verleger Dr. Hubert Burda:

„Aenne Burda war ein wunderbarer Mensch. Sie hat sehr sensibel auf alle wichtigen Ereignisse in der Welt reagiert. Sie hat einen bemerkenswerten Beitrag zur Verbesserung der Beziehungen zwischen unseren Ländern geleistet. Frau Burda gehörte zu denjenigen, die uns als Erste bei den damals in der UdSSR entstandenen Schwierigkeiten zu Hilfe kamen. Mit aller ihrer Energie unterstützte sie die in unserem Land eingeleiteten Reformen. Die Natur zeichnete Aenne Burda durch eine weite Seele, Talente, eine tief im Herzen verankerte Menschlichkeit aus. Wie man bei uns in Russland zu sagen pflegt: Sie war ein Mensch, der in Großbuchstaben geschrieben wird.“

Michail Gorbatschow, auch Sie waren ein Mensch, der in Großbuchstaben geschrieben wird. R.I.P.

Foto: Burda Verlag

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Donnerstag, 28. Juli 2022

Happy Birthday, Aenne Burda !

Heute vor 113 Jahren wurde Verlegerin Aenne Burda als Anna Magdalene Lemminger in Offenburg geboren. Bis zu ihrer Volljährigkeit erlebte sie Kaiserreich, Ersten Weltkrieg und Weimarer Republik. 1930 verlobte sie sich mit dem jungen, aufstrebenden Unternehmer Dr. Franz Burda, 1933 folgte die Hochzeit. 1985 blickte die Gründerin von "burda moden", dem weltgrößten Modeverlag, auf ihre Kindheit und Jugend in Offenburg zurück. In dem Band "Aenne Burda. Kindheit und Jugend in Offenburg" (2018, Petrarca Verlag, 9,80 Euro) sind ihre persönlichen Gedanken und Erinnerungen nachzulesen.

Bei Interesse an dem Buch, gerne kurze Nachricht an mich.

Mittwoch, 25. Mai 2022

Offenburg – Stadt der Versöhnung

Es war vor wenigen Wochen, als ich eine Mail von Jochen Thies erhielt und er mir sein neues Buch empfahl, das im Mai im Kehler Morstadt Verlag erschienen ist: „Die Stadt der Versöhnung. Offenburg als Herz der deutsch-französischen Freundschaft“. Ein Journalist aus Berlin, der über Offenburg schreibt? Ein Hinweis, dass seine Frau aus Gengenbach stammt und in demselben Haus gewohnt hat wie meine Großeltern, bei denen ich häufig zu Besuch war, führte zu einem sehr angenehmen Schriftwechsel. Die Lektüre von Thies' Buch, für das Wolfgang Schäuble das Vorwort geschrieben hat, ist ein Genuss: Eine gleichermaßen unterhaltsame wie faktenreiche Hommage an meine Heimatstadt, in der 1945 der Grundstein gelegt wurde für die deutsch-französische Freundschaft, die mir selbst so sehr am Herzen liegt. Ich wünsche mir, dass alle Offenburger*innen – und nicht nur die! – dieses Buch von Jochen Thies lesen und sich angespornt fühlen, die deutsch-französische Freundschaft und den europäischen Gedanken mit Leben zu füllen.

"Nicht in Berlin, nicht in Köln oder Frankfurt, sondern in einer Stadt mit (damals) weniger als 20.000 Einwohnern trafen Menschen zusammen, die Träume hatten und die Fähigkeit besaßen, Visionen in die Tat umzusetzen"

Thies ist ein Kenner der Geschichte und beschreibt das Leben nach Kriegsende in Offenburg und der Französischen Zone sehr bildhaft und mit vielen kleinen Episoden. Und er legt den Fokus auf den August 1945, in dem Offenburg „vom Ort der Konfrontation mit Frankreich zum Ort der Begegnung“ wurde: „Für mehrere Jahre übernahm es eine unangefochtene Vorreiterrolle beim deutsch-französischen Dialog, bei der Überwindung der Sprachlosigkeit. Nicht in Berlin, nicht in Köln oder Frankfurt, sondern in einer Stadt mit (damals) weniger als 20.000 Einwohnern trafen Menschen zusammen, die Träume hatten und die Fähigkeit besaßen, Visionen in die Tat umzusetzen.“

Eine Schlüsselrolle spielte Jean du Rivau, Jahrgang 1903, Jesuit und Militärgeistlicher, der im Sommer 1945 in Offenburg das Zeitschriftenpaar „Documents/ Dokumente“ initiierte, um Deutsche und Franzosen über Fakten und Verhaltensweisen des anderen zu informieren: „Wir wollen nicht Partei ergreifen, sondern Interessierte mithilfe von Texten in den Stand versetzen, am kommenden Tag miteinander zu reden.“ In den Folgejahren befasste sich die Zeitschrift mit Themen wie Christentum, Politik, NS-Vergangenheit, Literatur und Jugendfragen. 1947 lud Jean du Rivau zum ersten Treffen mit 43 Intellektuellen aus Frankreich und Deutschland nach Lahr ein.

"Offenburg kann an der Vorbildfunktion, die es im deutsch-französischen Verhältnis hatte und hat, festhalten"

Die Kraft des Dialogs zieht sich wie ein roter Faden durch Thies' Buch, in dem prominente Politiker und Intellektuelle ebenso zu Sprache kommen wie das erfolgreiche Offenburger Unternehmerpaar Aenne und Franz Burda oder Karl Heitz, erster Oberbürgermeister der Stadt. Jochen Thies gelingt es, Zusammenhänge zu schaffen und Wissen über Persönlichkeiten, Fakten und Begebenheiten unterhaltsam zu vermitteln. Dabei spannt er einen Bogen vom Vertrag von Verdun (843) bis heute. Er schafft Bewusstsein für die außerordentliche Rolle, die Offenburg aufgrund seiner geografischen Lage und der Offenheit von Menschen, die zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren, für die deutsch-französische Freundschaft gespielt hat. Geschichte kann Inspiration für die Zukunft sein. Und so resümiert Thies: "Offenburg kann – wenn es der Wille seiner Bürger ist – mehr als andere Orte leisten. Es kann an der Vorbildfunktion, die es im deutsch-französischen Verhältnis hatte und hat, festhalten.“

Ich freue mich, wenn Jochen Thies im Sommer zu einer Lesung nach Offenburg kommt.

Jochen Thies, Dr. phil., Jahrgang 1944, studierte Romanistik, Geschichte und Politische Wissenschaft in Freiburg. Er begann seine berufliche Laufbahn in Baden, das für ihn zu einer zweiten Heimat wurde. Thies war Redenschreiber von Bundeskanzler Helmut Schmidt und viele Jahre lang in leitenden Positionen im deutschen Journalismus tätig. Er lebt mit seiner aus Gengenbach stammenden Frau in Berlin.

Jochen Thies: Die Stadt der Versöhnung. Offenburg als Herz der deutsch-französischen Freundschaft. 186 Seiten, 20 Abbildungen, Morstadt Verlag, 25,90 Euro, ISBN 978-3-88571-401-9