Ich
dachte, er sei unsterblich: Karl Lagerfeld. Der Mann, der sich immer
wieder neu erfand und seiner Individualität stets treu blieb. Sein
Esprit, seine Kreativität, seine Intelligenz und sein Humor
beeindruckten mich bei jeder Begegnung. Karls Gedanken wirbelten noch
schneller als er sprechen konnte. Der 9. März 2007 hat sich in mein
Gedächtnis eingemeißelt. Früh morgens flog ich von Straßburg nach
Paris. Eineinhalb Stunden benötigte das Taxi nach St. Germain, wo
wir im „Café de Flore“ zum Mittagessen verabredet waren. Karl
Lagerfeld empfahl mir die „Plat nordique“, er selbst begnügte
sich mit Pepsi und einer halben Ananas. Er hatte gerade 40 Kilo
angenommen, war stolz auf seine Jünglingsfigur und wollte sein
Gewicht halten. Als ich ihm ein Foto zeigte, dass 1989 bei der
Bambi-Verleihung von uns beiden aufgenommen wurde, winkte er ab: „Tu
das weg! Das ist ja furchtbar!“
An
diesem Nachmittag besuchten wir sein feudales Apartement im Palais
Hôtel de Longueuil,
das damals Philippe Pozzo di Borgo gehörte, dessen Geschichte in
„Ziemlich beste Freunde“ verfilmt wurde, sowie sein Studio 7L mit
Buchladen in der rue de Lille. Im wuchtigen „Hummer“ mit getönten
Scheiben bewegten wir uns langsam durch das frühlingshafte Paris und
ich erinnere einen Witz, den er mit großem Vergnügen erzählte:
„Zwei Schwule wollen ein Baby und mieten sich eine Leihmutter. Nach
neun Monaten kommen sie ins Krankenhaus und hören nur schreiende
Babys. Oh Gott! Auf was haben wir uns da eingelassen? Dann, ganz
hinten, entdecken sie ein ruhiges, zufriedenes, strahlendes Baby. Oh,
hoffentlich ist das unseres! Ja, sagt die Schwester. Sie wollen es
auf den Arm nehmen. Moment noch! Ich muss ihm nur noch das
Fieberthermometer aus dem Arsch nehmen.“
In
seinem Studio sprachen wir seriöser. Schließlich wollte er mir von
Aenne Burda erzählen, die er 1987 in Salzburg kennengelernt hatte:
„Wir waren von der ersten Sekunde an gut befreundet. Sie hatte
diese Spontaenität, Vivacité, besaß Humor und Energie. Ich habe
einen wilden Walzer mit ihr getanzt, sie war klein, zierlich und
leicht wie eine Feder. Ich habe nie mit ihr gearbeitet, das war eine
rein persönliche Beziehung, und ich fand sie wahnsinnig interessant,
tausendmal jünger als junge Leute und so was liebe ich und bewundere
ich. Ich werde sie immer als die Frau auf dem Höhepunkt ihrer
Karriere in Moskau in Erinnerung behalten. Ob sie später kränker
oder etwas dicker war, will ich gar nicht wissen. Ich behalte sie so
in meinem Kopf, wie ich sie kennengelernt habe.“
Über
Aennes Ausbrüche:
„Ich
würde so gerne auch mit Aschenbechern schmeißen, nur meine
Erziehung hindert mich daran, das zu tun. Ich bewundere das. Ich kann
ein Telefon an die Wand schmeißen, weil es nicht funktioniert, aber
nicht auf Leute. Ich habe Menschen kennengelernt, die das auch taten
und viel mittelmäßiger waren als Aenne Burda, und dann ist das
nicht vergebbar. Meine Mutter, die tat das auch. Mein Vater ging ihr
manchmal auf die Nerven und dann schmiss sie ihm was ins Gesicht,
Brot oder so. Er war ein reizender Mann, aber wenn er anfing,
moralisch zu werden, dann sagte sie: Also Otto, das geht mir jetzt
wirklich zu lange! Kannst du nicht aufhören? Dann nahm sie einen
Teller und schmiss ihn auf den Boden. Ich mag gerne exzessive Leute.
Ich finde mich nicht exzessiv genug. Ich bin gelähmt von der
humanitären Vorstellung, man soll nett zu Leuten sein.“
Über
seine Anfänge in Paris 1952:
„Die
Französinnen waren auch nicht besser angezogen als die deutschen
Frauen. Die französischen Straßen waren noch schäbiger als die
deutschen. Deutschland wurde wieder aufgebaut, hier nicht mal
restauriert. Frankreich war ziemlich dunkel, grau und nicht das, was
man denkt. Aber es war eben Paris und die Idee, die man sich davon
machte, vor allem die Ansprüche, die Poesie, die man darin sehen
konnte. Ich wollte nach Paris, ich wollte mein Französisch
verbessern, hier zur Schule gehen und vielleicht in der Mode
arbeiten, aber ich wusste nicht wie, der Zufall hat das alles
arrangiert. Die Reflexionen, die ich machen kann, gingen mir damals
nicht durch den Kopf. Da war ich ein dummer Junge. Heute sind die
Straße in Deutschland okay, die Straße in Paris sind okay. Alle
haben die gleichen Anoraks an. Man will immer so tun, als ob die
deutschen Frauen nicht so gut gekleidet wären wie die anderen, aber
sie sind nicht schlechter gekleidet, es gibt sogar ein paar, die
besser gekleidet sind. Paris, Berlin, London, Schweden, Dänemark –
alles das gleiche Gut und Schlecht. Das finde ich toll, denn es
besteht ja kein Grund, dass Sachen teuer sein müssen, um sich
anständig zu kleiden. Andererseits gibt es entsetzliche Sachen, die
wahnsinnig teuer sind und die man geschenkt nicht haben möchte.“
Mode
in Berlin:
„In
Berlin gab es in den 20er und 30er Jahren gute Häuser. Nach dem
Krieg waren Staebe-Seger und Horn toll, meine Halbschwester ruinierte
sich bei Horn. Das war keine spießige Mode, das war nicht
Hausmannskost! Dann gab's die Mode von Heinz Schulze-Varell, die war
ein bisschen steifer als in Paris. Ich werde Ihnen mal eine Skizze
machen, wie das aussah. Die hatten im allgemeinen so einen Hut, hier
an der Seite das Auge, ein bisschen dunkel geschminkt. Das Problem
ist, ich zeichne ein bisschen zu sehr von heute. Die Kostümjacken
waren meistens ziemlich eng und der Rock war hinten mit Stecknadeln
festgesteckt, ein bisschen so … so posierten sie alle, und dann
hatten sie hier, voilà, einen enormen Knopf. Das ist Berliner Mode
aus den 50ern!“

Seine
Skizze, gezeichnet auf meinen linierten Schreibblock, halte ich,
golden gerahmt, in Ehren. Ein Buch über jüdische Mode und
Konfektion in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert schickte er mir mit
einem herzlichen persönlichen Begleitbrief wenige Wochen später. Er
hatte es aus London kommen lassen, weil es in seinem Pariser
Buchladen nicht vorrätig war. Unser Gespräch zog sich bis zum Abend
und ich gebe hier nur einen Auszug wieder. Zum Abschluss einige Sätze
von Karl Lagerfeld zu sich selbst:
„Ich
bin kein mondäner Mensch. Ich bin eine Kulissenperson, das ist viel
besser. Das Offizielle überlasse ich anderen. Ich habe es auch so
geschafft. Ich brauche mich nicht öffentlich zu zeigen. Ich kann die
Fäden in den Kulissen ziehen. Das ist viel besser. Ich hasse
Namedropping. Ich lerne gerne Leute kennen, aber das geht die anderen
nichts an. In dieser Beziehung bin ich diskret. Ich wirke indiskret,
bin aber in Wirklichkeit sehr diskret. Wenn Sie ein Interview mit
Freunden von mir machen würden, mit denen, die mich wirklich kennen,
würden Sie nichts rauskriegen. Wahrscheinlich weil sie annehmen,
dass sie dann automatisch enterbt werden.“
Danke,
Karl Lagerfeld! #unforgettable
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