Ich bin geschockt und traurig. Paul Sahner ist tot.
Für mein "Demenz"-Buch hat er mir noch ein wunderbares Interview gegeben, in dem er sehr liebevoll über seine Mutter und deren Abschied sprach.
Lieber Paul, ich wünsche dir, dass du bei den Engelein bist!
Engelein, ich komme!
"Bunte"-Journalist und Autor Paul Sahner (70) schwärmt von seiner Mutter Elisabeth. Für ihn war sie "emanzipiert im Rahmen dessen, was damals möglich war, tough, aber lieb". Ihre letzten Lebensmonate verbrachte die Marianerin in einem katholischen Altenpflegeheim, wo sie 2002 im Alter von 88 Jahren starb. Elisabeths Abschied hinterließ bei ihren Lieben ein Lächeln.
Es war der Vorabend des 11. Septembers 2001 und Paul Sahner saß in Reinhold Beckmanns Talkshow in Hamburg. Sein "Bunte"-Artikel über die "ausgelassenen Wasserspiele" von Verteidigungsminister Rudolf Scharping und dessen Freundin Kristina Gräfin Pilati-Borggreve auf Mallorca hatte Wellen geschlagen. Während der Aufzeichnung klingelte sein Handy, seine Schwester Brigitte war dran: "Paul, wir müssen Mutti ins Stift bringen. Sie kann nicht mehr alleine wohnen."
Mit der ersten Maschine flog Sahner am nächsten Morgen nach Paderborn, die Gedanken bei seiner Mutter. Stets war Elisabeth die "gute Seele der Familie" gewesen. Tochter eines selbständigen Handwerkers, der in Bockum-Hövel in Tapeten, Farben, Lacke machte, verheiratet mit einem einfachen Beamten, der sich zum Obersteuerrat hochgearbeitet hatte. "Wir konnten uns keine großen Sprünge erlauben, aber wir hatten immer ein gutes Leben", erinnert sich Paul und erzählt von sonntäglichen Spaziergängen und Wanderungen. Sowohl Mutter als auch Vater waren sehr gläubig und hätten es gerne gesehen, wenn ihr Jüngster und Stammhalter Priester geworden wäre. Andererseits hat er auch als People-Journalist stets ein offenes Ohr für seine Mitmenschen.
"Ich bin kein religiöser Mensch", sagt Paul, doch gemeinsam mit seinen zwei Schwestern und Ärzten entschied er jetzt, dass Elisabeth in ein katholisches Pflegeheim umzog. Seit dem frühen Tod ihres Mannes hatte sie alleine gelebt, zwar nur hundert Meter von Tochter Brigitte entfernt, doch immer öfter passierte es, dass sie vergaß, den Elektroherd auszuschalten oder sich mit anderen kleinen Schusseligkeiten selbst gefährdete. "Sie wurde ein bisschen tüttelig", beobachtete Sahner.
Die Kinder richteten ihr Zimmer mit Lieblingsstücken von zu Hause ein: Sessel, Kommode, Leselampe, Bilder an den Wänden. Elisabeth fühlte sich sofort wohl in dem schönen Haus mit Park und den "entzückenden Leuten". Sie selbst war mit ihrer guten Laune ein "kleiner Sonnenschein". Jeden Abend, als sie noch zu Hause war, spielte sie vor dem Zubettgehen Klavier, Smetana, Bach und religiöse Stücke. Am liebsten waren ihr die Marienlieder. Die Muttergottes war für Elisabeth der Inbegriff einer starken Frau.
Wenn Paul sie besuchte, musste er von Mal zu Mal feststellen, dass es ihr, die die Dinge stets klar auf den Punkt gebracht hatte, immer weniger gelang, Gedanken aneinander zu fügen. Nur eines war ihr noch wichtig: "Paulus", sagte sie, du bist der einzige Mann in der Familie, du musst darauf achten, dass ihr Geschwister euch nicht kabbelt." Bei seinem Versprechen lächelte sie. "Wir sind ein Herz und eine Seele", beschreibt Sahner das Verhältnis zu seinen Schwestern Brigitte und Renata.
Als Elisabeth nicht mehr sprechen konnte, sah er mit ihr alte Fotoalben an. "Wer ist das?" fragte er und deutete auf ein Hochzeitsfoto seiner Eltern. Traurig schüttelte sie den Kopf. "Dein Sohn?" fragte er. Wieder Kopfschütteln. "Dein Bruder?" Kopfschütteln. "Dein Mann?" "Mmm", bejahte Elisabeth und lächelte. Weiter: "Wie heißt dein Mann?" Kopfschütteln. "Karl?" Der Kopf ging nach links und nach rechts. "Anton?" Wieder keine Zustimmung. "Walter?" Ein Lächeln und ein Nicken. "Lachen konnte sie nicht mehr", sagt Paul Sahner, "aber wunderschön lächeln."
Am 17. April 2002 bekam er wieder einen Anruf von Brigitte, diesmal war er zu Hause in München: "Du musst dringend kommen! Es ist was mit Mutti." Paul war nicht dabei, als seine Schwestern an ihrem Bett standen. "Es war ein Wunder", glaubt er. Elisabeth, die monatelang kein Wort mehr von sich gegeben hatte, begann laut und deutlich zu singen: "Gegrüßet seist du Königin", "Maria Maienkönigin", "Maria breit den Mantel aus"… Sie sang. Voller Freude und Inbrunst. Die Lieder, die sie als Mädchen gelernt und die ihr irgendwann in Fleisch und Blut übergegangen waren. Sie kannte jedes Wort, jede Zeile. Brigitte benetzte die trockenen Lippen der Mutter mit Wasser. Elisabeth dankte ihr mit einem strahlenden Lächeln: "Guck mal, Brigittchen!" rief sie. Und dann, glückselig: "Engelein! Juhu! Ich komme!"
"Sie sah so friedlich aus", sagt Paul. Er legte sich neben sie, streichelte ihr Gesicht, ihre Hände, sprach mit ihr. Obwohl die Mutter bereits vor Stunden die Augen geschlossen hatte, ist er überzeugt, dass sie noch verstand, was er ihr zu sagen hatte: "Mutti, ich danke dir. Du hast alles richtig gemacht."
Foto: im Februar 2015 im Europa-Park